Die andere Hälfte bestand darin, dass Benedikt XVI. das Maß an Gott und dessen Geboten orientieren will. Ob er darin Recht hat, lässt sich objektiv nicht sagen, auch wenn Benedikt in einem weiteren Argumentationszusammenhang gerade beklagte, dass die westliche Kultur sich zu sehr an Positivismen, also an empirisch nachweisbaren Tatsachen, orientiere. Entschuldigt, liebe Heiligkeit, aber Eure metaphysischen Spekulationen sind leider nur unter bestimmten Glaubensannahmen gültig.
Und wie man sieht, konkurrieren diese mit anderen und werden schnell zum Streitfall, der, gerade jährte sich das schlimmste Beispiels zum siebten Male, auch schnell mit militärischen und terroristischen Mitteln ausgetragen wird. Das rechte Maß ist also notwendig – da habt Ihr völlig recht, Benedikt. Aber warum das rechte Maß nicht woanders her nehmen?
Beispielsweise aus unserem Menschsein. Wir sind doch alle nicht so sehr verschieden, dass wir verschiedene Grundbedürfnisse hätten. Vor allen Dingen sind wir soziale Lebewesen, die einander brauchen und ihre Bedürfnisse recht einfach nach der Goldenen Regel organisieren könnten: Was Du nicht wünschst, dass man Dir tu, das füg´ auch keinem andern zu. Immerhin eine Regel, die so auch in der Bibel steht: Matthäus 7,12.
Das Problem besteht hauptsächlich darin, dass einige meinen, mit der Verletzung der Regel durchzukommen und dass sie in viel zu vielen Fällen leider damit auch tatsächlich durchkommen. Was uns zu Punkt zwei des menschenwürdigen und erfolgreichen Zusammenlebens führt: ausreichende Sanktionsvorschriften und –mittel gegen die Regelverletzer.
Also: wir wollen unser Ding machen, können dies in hinreichender Sicherheit aber nur, wenn wir uns soweit beschränken, dass wir andere in ihrem Tun nicht verletzen (Goldene Regel). Das gilt für alle Menschen; was heißt, dass die sich zumindest darauf einigen können sollten, dass eine (Welt-)Gesellschaft geschaffen werden sollte, die das erlaubt und garantiert. Letzteres ist angewandter Immanuel Kant und somit nicht gerade neu.
Womit wir zu dem Punkt kommen, wo der Papst nicht mehr recht hat. Er sagte in Paris nämlich auch, dass man sich nicht allein auf die Vernunft verlassen dürfe, sondern auf Gott vertrauen müsse. OK, wenn Gott seinen Job täte (das Theodizeeproblem!), wäre das ja richtig. Aber Gott tut seinen Job nicht, sonst sähe diese Welt nicht so aus, wie sie aussieht, zumindest was die Unschuldigen angeht, die Kinder und deren Leid.
Also ist es so, dass es (a) entweder keinen Gott gibt oder er (b) seinen Job nicht recht tut oder dass er (c) die Welt so geschaffen hat, dass wir doch zusehen müssen, ohne seine Hilfe darin zurecht zu kommen. Und was haben wir dann als Mittel zur Verfügung?
Im Fall (a): die Vernunft. In Fall (b): Appelle an Gott sich zu bessern – bis er das tut, bleibt uns nur ... genau, die Vernunft. In Fall (c): Auch die Vernunft; diesmal sogar als göttlicher Auftrag, denn er gab sie uns als einzige Hilfe für die Existenz in einer defizitären Welt mit auf den Weg. Also, lieber Benedikt, die Vernunft ist doch das einzige, was uns bleibt, wenn wir etwas tun wollen. Glauben und Beten sind rein passive Tätigkeiten, die nichts bewirken werden.
Also lasst uns auch was tun. Beispielsweise uns als Menschen mit gleichen Bedürfnissen zu begreifen und die Goldene Regel beachten sowie dafür sorgen, dass diejenigen Kräfte, die dazu zwingen können, sie einzuhalten, dazu in der Lage sind. Nicht dass das nicht alles schon ausführlich in mindestens einem Buch veröffentlicht wäre: in den Anspruchsvollen Schlüssen beispielsweise.
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