Der Focus hat eine Studie auf die Beine gestellt, um die wichtigsten deutschen Prosa-Autoren zu ermitteln. Auf den ersten zehn Plätzen der wichtigsten Autorinnen und Autoren steht mit Cornelia Funke auf Platz 4 nur eine ausgewiesene Phantastikautorin, und auch im Weiteren taucht niemand der üblichen Verdächtigen aus der phantastischen Szene mehr auf. (Gewinner? Grass auf eins, Walser auf zwei usw.)
Grundlage der Rangliste ist eine Kombination von Verkaufszahlen, Berichterstattung in den Medien, eigenen Fernsehauftritten, Auszeichnungen, Empfehlungslisten und dem Google-News-Index. Da scheint es erst einmal schon erstaunlich, dass keine Phantasten unter den ersten 50 Plätzen zu finden sind. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich dabei mehr als nur, dass Frau Heidenreich auch von den Bestsellerlisten keine Ahnung hat.
Erstens muss man die populärsten Listen, etwa die des Spiegel, relativieren, da dort nicht nach Nationalität unterschieden wird. Dann sind es zwar in Schüben auch Phantasten, die vorne mitmischen - etwa Joanne Rowling und Tolkien bei jedem neuen Film -, sonst aber überwiegen konstant Krimis und Thriller. Aber deren Autorinnen und Autoren sind meist keine Deutschen. Also stimmt es insgesamt (leider) sowieso nicht, dass die deutschen Verkaufslisten von deutschen Phantasten beherrscht werden.
Zweitens sind Medienpräsenz und Auszeichnungen Währungen, von denen Phantasten meist wenig profitieren, was an der Hypothek liegt, die die Phantastik als angebliches Schundgenre immer noch mit sich rumschleppt:
- Phantasten werden wenig ausgezeichnet? - Okay, das mag daran liegen, dass sie eben alle schlecht schreiben ...
- Phantasten werden nicht interviewt? - Klar, sie haben nichts zu sagen, denn sie schreiben nur über Wolkenkuckucksheime ...
Wenn Phantasten aber medial nicht so präsent sind, dann haben sie auch wenig Chancen über andere Listen und Indizes erfasst zu werden.
Also, wenn man sich mal so diese Phantastik betrachtet ...
Das relativiert den Eindruck der Unwichtigkeit der Phantasten denn doch. Dass nämlich sie alle so schlecht schreiben, ist Quatsch, wie der Verweis auf die jahrtausendelange Phantastiktradition der Geschichte schon beweist. (Elke Heidenreich mag Phantasten ja auch, sie müssen nur mindestens hundertfünfzig Jahre tot sein ... Goethe, Shakespeare, Aischylos ...)
Dass sie nichts zu sagen haben, widerlegt das gleiche Argument, denn Menschen würden Phantasten nicht seit Jahrtausenden zuhören, wenn sie irrelevante Themen drauf hätten: "Phantasten reden nicht weniger ernsthaft als jeder Soziologe - und sehr viel verständlicher - über das menschliche Leben" (Ursula Le Guin).
Nein, dass die mediale Aufmerksamkeit nicht in gleichem Maße da ist wie für die E-Literatur, hat mit Verständnis- und Akzeptanzfragen zu tun. Exzellente Akzeptanz und damit mediale Aufmerksamkeit wiederum bedingen andererseits auch einen großen Teil des Verkaufserfolges der E-Literatinnen und -literaten, die dann eben auch gekauft (wenn auch nicht unbedingt in gleichem Maße gelesen) werden. Deshalb kommt Markolf Hoffmann auch auf grundsätzlich weniger Verkaufszahlen als Martin Walser. Dass auch Markolf sein Handwerk perfekt beherrscht, kriegen dann vergleichsweise nur wenige Leser mit.
(Sie sagen, es gibt auch schlechte Phantasten? Natürlich! Wie überall sonst auch ...)
Aber Verkaufszahlen können sich natürlich immer auch ändern. Wenn Phantasten einen großen Verkaufserfolg haben, kann dieser, wie bei Rowling eben, auch alles, was in der E-Literatur gewohnt ist, weit überflügeln. Interessanter ist, was sich auf den Buchregalen in den Buchhandlungen tut.
Da stehen sehr viele verschiedene Phantasten und legen Zeugnis von einer lebendigen Szene ab. Nimmt man das Internet und seine Communities, die Gamer sowie die rege Offline-Szene dazu, so zeigt sich schon ein ganz anderes Bild des Genre-Erfolgs. Und wenn man diesen Leuten live oder in den Foren lauscht, so zeigt sich auch, dass die Bedeutung der Phantastik eher in Richtung Le Guins Ansichten als in die von Frau Heidenreich geht.
Con-Geplauder lässt sich nun schlecht belegen, aber schauen Sie einfach mal in die seitenweise verlaufenden Threads rein, in denen diskutiert wird, was mit diesem oder jenem Umstand/Ereignis/Person gemeint ist, und welche Bedeutung das für die Geschichte hat und warum dies wiederum für das Leben der diskutierenden Leserinnen bedeutsam ist. Da läuft etwas ab in der Phantastik und zeigt, dass sie ein höchst aktiver Teil der Kultur ist.
Die Inhalte scheinen mir bei der Einschätzung des kulturellen Lebens denn auch interessanter als Personen. Brillant war und ist etwa Grass´ Danziger Trilogie, und sie ist auch zeitlos, wo sie über den Menschen und seine Situation nachsinnt. Aber heute werden ähnliche Fragen in anderen Worten und mit neuen Motiven durchdekliniert, und neue Autorinnen geben auch andere Antworten.
Vor diesem Hintergrund kommen mir Personenrankings der wichtigsten Literaten dann weit weniger relevant vor als die Diskussion der wichtigsten literarischen Themen und Motive. Und da würde man dann auch über die Phantastik reden müssen.