Rolf Potthoff
kommentiert heute auf Seite 1 in der WAZ die Diskussion um das E-Book, also die digitalen Bücher und ihre Lesegeräte. Die Diskussion um das E-Book beherrsche die Buchmesse, so Potthoff, und man „flüstere“, dass es die Zukunft des Lesens sei. Das aber sei doch ein entsetzlicher Verlust, denn Lesen sei „eine sinnliche Lust“, die vor dem Kunststoffgehäuse eines Lesegerätes nicht aufkommen könne. Bücher seien zudem Teil der persönlichen Geschichte und, ach, wie schlimm sei es doch, wenn man keines mehr schenkte oder geschenkt bekäme, mit Widmung vom besten Freund oder an die Liebste.
Wäre ein Siegeszug des E-Books aber wirklich so ein großer Kulturbruch? Was macht denn ein Buch aus? Auch ich liebe die gute Aufmachung eines Buches, gebunden natürlich, Fadenheftung, möglichst mit Lesebändchen und vielleicht auch Goldschnitt (obwohl ... der muss nicht sein). Dann der Geruch! Besonders, wenn es nicht gerade frisch aus der Druckerei kommt, sondern schon so manches Jährchen auf dem Buckel hat. Aufschlagen, umblättern und zu lesen beginnen ... „Die Lebenserinnerungen Dieter Bohlens“ - würg!
Sie sehen, was ich meine? Es sind die Worte, die in den Büchern stehen. Die Geschichten, die Meinungen, die Fakten, die Ansichten, die Poesie und ihre Ästhetik. Die werden zwar wunderbar eingerahmt von einem liebevoll hergestellten Buch, aber essentiell ist dieses Drumherum nicht. Ich kann Novalis auch auf dem Kindle genießen und Lovecraft wird mir auch dort angsteinflößend den Rücken hinaufkriechen. Sofern die Technik stimmt, natürlich. Lesen auf meinem PDA ist eine rechte Zumutung mit dem hellen, viel zu kleinen Bildschirm und der hakeligen Bedienung. Aber der Kindle beispielsweise soll ja wie Papier aussehen und ohne Hintergrundbeleuchtung auskommen. Das reicht mir.
Vor die Wahl gestellt, werde ich Novalis und Lovecraft auch weiterhin als Buch lesen. Aber Fachbücher? Wenn ich nur dran denke, wie einfach ich im E-Book kommentieren, verschlagworten und vor allem suchen könnte. Haben Sie schon einmal einen Aufsatz geschrieben, in dem ein Zitat genau passen würde, das aus einem Buch stammt, das Sie vor Jahren gelesen haben? Mir passiert das dauernd und ich suche mich dumm und dusselig, obwohl ich seit Jahren alle meine Bücher mit Anmerkungen vollkritzele und kleine Indizes auf den ersten oder letzten Seiten von Hand anlege. Welch eine Wonne, ein digitales Dokument von der Suchfunktion durchsuchen zu lassen ...
Wird dann das E-Book das ‚echte’ Buch irgendwann verdrängen? Das mag wohl sein, und Sie können mir glauben, dass ich das sehr (!) bedauern würde. Aber ich werde es nicht mehr erleben. Auf Jahrzehnte hinaus wird es gedruckte Bücher auch aller möglichen Neuerscheinungen geben. Sie können als Bücherfreund also ganz getrost weiterhin alle E-Book-Fans bemitleiden. Ihre Kinder und Enkel allerdings ...
Mein Sohn etwa mag durchaus erleben, dass gedruckte Bücher zur Ausnahmepublikationsform werden. Und er wird es wohl auch bedauern, da er bei uns zuhause mit vielen Büchern aufwächst. Aber er wird auch gelernt haben, E-Books als vollkommen alltägliches Handwerkszeug und Lektüremittel zu handhaben. Genauso wie die E-Zeitung, die, ganz wie bei Harry Potter, kleine Filmchen statt Fotografien abbilden wird.
Und die heutigen und kommenden Kinder werden auch gelernt haben, die neuen Kulturtechniken ebenso typisch menschlich anzuwenden wie die alten. Nein, Herr Potthoff, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, dass die Widmung an den Freund oder die Geliebte verloren geht. Sie wird nur anders aussehen. Wie? Keine Ahnung! Aber mit Emoticons, Smileys, Lautschriften, Neologismen, ASCII-Art und anderen Dingen gelingt es den heute per Computer und Netzwerken Kommunizierenden gut, das parfümierte Briefpapier von einst zu ersetzen. Man schreibt Liebesbriefe anders, aber man schreibt sie immer noch und wird damit auch nie aufhören.
Wenn dann das Buch einmal ersetzt werden sollte und nichts mehr gedruckt wird, so ist die Zeit halt über die Printtechnik hinweggegangen. Schade, aber nicht wirklich schlimm. Und die, die das erleben, werden diesen Verlust auch nicht so empfinden wie wir, denn sie sind unter ganz anderen Medienbedingungen groß geworden. Wichtig ist, dass die Inhalte erhalten bleiben, dass niemals Platon, Aristoteles, Augustin, Dante, Shakespeare und all die anderen ebenso wie die Gedanken von heute; dass all dies niemals vergessen wird. Ist mir doch egal, ob es in Stein gehauen, auf Papyrus gemalt, auf Papier gedruckt oder auf Festplatten vorliegt - Hauptsache es ist zugänglich.
Nachtrag:
Gerade macht mich Friedhelm Schneidewind netterweise auf einen guten Beitrag von Dennis Scheck im Deutschlandradio aufmerksam, der erstens erklärt was der Kindle ist und kann und zweitens die Untergangsängste des Abendlandes angesichts des digitalen Lesens auch eindrucksvoll relativiert: bitte sehr.