Am 12. Februar 1809, vor genau zweihundert Jahren wurde Charles Darwin geboren, wie Ihnen dieser Tage kaum entgehen dürfte. Auch wenn der britische Naturforscher also derzeit in aller Munde/in allen Medien ist, möchte auch ich ein paar Worte über diesen Mann verlieren, der die Welt verändert hat wie kaum ein Mensch vor ihm.
„Darwin?“
Es gibt ein paar solcher Menschen - Kant, an dessen Denksystem sich alle ernsthafte Ethik messen lassen muss, Freud und Kopernikus, die dem Menschen neben Darwin seine anderen beiden ‚schweren Kränkungen‘ zufügten (davon gleich mehr), und vielleicht noch zwei, drei andere - deren Gedanken und Erkenntnisse der Evolution der Menschheit entscheidende Schübe oder Wendungen gaben.
Und mit dem Wort Evolution sind wir auch schon bei Darwins Verdienst, denn er beschrieb und bewies erstmals die grundlegenden Prinzipien der Evolution. Sicher war 1859, als die erste Auflage der Origin of Species erschien, die Zeit irgendwie auch reif für die Entdeckung der Evolution. Wäre es nicht Darwin gewesen, so hätte wahrscheinlich Alfred Russell Wallace innerhalb von zehn Jahren eine ganz ähnliche Publikation herausgebracht. Aber es war eben Darwin, der uns die Evolution erklärte.
Und wie er das tat! Lesen Sie einmal die Origin und Sie werden sehen, dass Darwin auch ein begnadeter Schriftsteller war. Kein Wunder, dass dies Buch überzeugte ... wer weiß, welchen Eindruck ein weniger versierter Schreiber gemacht hätte? Zunächst war es aber natürlich sein über mehr als zwanzig Jahre bedächtig zusammengetragenes Theoriegebäude, das die wissenschaftliche Welt fast mit einem Schlag überzeugte. Andere Forscher hätten vielleicht mehr Anläufe gebraucht, wenn sie unbedachter als Darwin vorgeprescht wären.
Auch Darwin war, wie man in dem exzellenten Buch von Jürgen Neffe jetzt wieder einmal nachlesen kann, schon auf seiner Weltumseglung klar geworden, wie Evolution im Prinzip funktioniert. Doch wog er mehr als zwanzig Jahre lang ab und sammelte Mosaikstückchen um Mosaikstückchen für eine lückenlose Argumentationskette. Manches, was ihm die Beweisführung erleichtert hätte - die gesamte Genetik beispielsweise -, konnte Darwin nicht kennen, anderes scheint ihm entgangen zu sein - J. Gregor Mendel und dessen Vererbungslehre etwa -; dass er trotzdem so schlüssig argumentieren konnte ist da nur umso beachtenswerter.
Und heute kann die Evolutionstheorie, in ihrer durch vor allem Ernst Mayr und Julian Huxley zusammengestellten Form der Synthetischen Evolutionstheorie, als die am besten nachgewiesene Annahme der Naturwissenschaften gelten. Die Evolutionstheorie ist schon seit vielen Jahren keine Theorie, sie ist eine Beschreibung des Faktischen.
(Dem obigen Absatz müsste ich jetzt eigentlich eine genau Erläuterung folgen lassen. Dann säßen Sie aber noch in drei Stunden hier vor dem Computer oder würden, worauf es mir heute ankommt, gar nicht mehr lesen. Wenn Sie sich über den Wert der Evolutionstheorie informieren wollen, so können Sie das als ersten Einstieg schon einmal gut bei Wikipedia tun. Oder Sie warten bis Oktober, dann wird ein Buch von Friedhelm Schneidewind und mir im Oldib-Verlag erscheinen, dass sich mit Evolutionstheorie und ihren Kritikern und besonders der Irrlehre des Intelligent Design beschäftigt - einfach den RSS-Feed abonnieren und Sie lesen hier sofort,wenn das Buch da ist.)
An der Faktizität schon der großen Mehrheit der frühen darwinschen Erkenntnisse ändern auch die Erweiterungen und kleineren Modifkationen nichts. Insbesondere in der Genetik werden zwar ständig neue Entdeckungen gemacht, auch was die einst als völlig beherrschende Rolle der Genetik angeht, die heute sehr viel differenzierter gesehen und als ‚unwichtiger‘ für das Evolutionsgeschehen angesehen wird (Stichwort: Epigenetik). Aber Darwin sprach ja auch nicht von Genetik, sondern wies das Evolutionsgeschehen nach, das wirklich passiert und nur noch nicht in den kleinsten Einzelheiten verstanden worden ist.
Dass es die Evolution aber gibt, war und ist für viele Menschen ein Problem, das für sie so groß werden kann, dass sie nicht in der Lage sind, die Evolution anzuerkennen. Evolution ist in den meisten Formen der Kritiker eine Kränkung des Menschen wie auch Gottes. Wir Menschen sind nun einmal etwas Besonderes, heißt es dann, etwas, das so nicht noch einmal vorkommt - das kann und darf doch nicht aus dem Tier entstanden sein. Wobei das Problem nicht das „kann nicht“ ist, sondern das „darf nicht“. Warum eigentlich darf es nicht?
Weil es die Sonderstellung des Menschen angreift. Einst war ja unsere ganze Welt etwas ganz Besonderes, denn das ptolemäische Weltbild stellte sie in den Mittelpunkt alles Seienden, die Erde war der Mittelpunkt des Kosmos. Und Menschen beherrschten diesen Mittelpunkt, hatten ja auch den Auftrag dazu: „Macht Euch die Erde [um die sich alles dreht] untertan!“. Doch dann kamen ein paar Naseweise mit den Namen Kepler, Brahe, Galilei und besonders Kopernikus und wiesen nach - nee, is´ nich´. Die Erde ist nur eine von vielen Kugeln im Universum. Das war die erste große Kränkung, der Mensch stand nicht mehr als Herrscher im Zentrum des Kosmos.
Galapagos-Archipel
Und dann kam Darwin und erklärte uns zu Zufallsprodukten tierischer Herkunft - die zweite große Kränkung. (Ich weiß, in der Origin steht nur ein einziger - zurückhaltender! - Satz über den Menschen; aber natürlich war jedem Leser klar, was die Entwicklung der höheren Tiere, insbesondere der Affen, aus einem gemeinsamen Ursprung für den Menschen bedeutete.)
(Die dritte Kränkung durch Freud bestand dann - soviel nur der Vollständigkeit halber - darin, uns zu beweisen, dass wir nicht einmal Herr im eigenen Oberstübchen sind, sondern von unkontrollierbaren Affekten und anderen Einflüssen herumgeschubst werden.)
Gegen Ende des Neunzehnten Jahrhunderts war aus dem einstigen ‚Master of the Universe Mensch‘ ein recht insignifikantes Häufchen Elend geworden. Etwas einflussreicher als die ja auch nicht unverwandte Küchenschabe zwar, aber dies nur auf einem unbedeutenden kleinen Sandkorn im All (und im Anschluss an Freud kann die Küchenschabe zumindest noch als zielstrebiger denn der Mensch angesehen werden).
Der einzige, der uns daraus noch erretten kann, ist Gott. Und zwar dann, wenn Er uns absichtsvoll erschaffen und mit einer Aufgabe versehen hat. Deshalb darf der Mensch nach Ansicht der Tiefgekränkten nicht einfach ein mit der Schabe verwandtes Zufallsprodukt sein, sondern muss von Anfang an eine Sonderrolle einnehmen - am besten, indem er am siebten Tag, als Krönung der Schöpfung und unbefleckt vom restlichen tierischen Morast, das Licht der Welt erblickte.
Dass die Evolutionstheorie eine alternative Erklärung zu dieser Ausformung des Schöpfungsgedankens anbietet, ist, was sie für viele so besonders inakzeptabel macht. Mit Kopernikus haben wir schnell problemlos leben gelernt, zumal noch immer keine um Gottes Gunst rivalisierende Aliens hier aufgetaucht sind. Freud, naja, Gott hat uns eben imperfekt geschaffen und das soll halt unsere Prüfung sein (und außerdem wurde der olle Freiberger in ganz vielen Aspekten schon widerlegt). Aber Darwin? Darwin ist viel „gefährlicher“ (wie völlig zurecht Daniel Dennett sagt).
Aber warum ist das so? Was ist denn so schlimm daran, dass wir evolutionär entstanden sind? In welcher Weise setzt uns das denn herab? Warum sollte Gott nicht diesen Weg gewählt haben? Und warum - wenn es denn unbedingt sein muss - sollten wir nicht trotzdem „Krone“ der Schöpfung sein? Ist doch egal, auf welchem Wege wir bewerkstelligt wurden, wenn wir denn bewerkstelligt wurden.
Die Evolutionstheorie Darwins und aller nachfolgenden Forscher - das kann man gar nicht oft genug sagen - richtet sich in keiner Weise gegen den Glauben. Sie ist völlig kompatibel mit dem Glauben. Nichts spricht dagegen, dass Gott das alles in Gang gesetzt hat. Es ist eben eine Glaubensfrage. Und ja - die Theorie erlaubt in der Tat, eine Menschenentwicklung plausibel zumachen, die ohne Gott funktioniert. Aber hey - das kann dem Gläubigen doch wohl egal sein, oder? Ihr schert euch doch nicht darum, was so ein ‚armer Atheist‘ behauptet ...
Was allerdings nicht mehr geht, ist, dass eine Weltanschauungsweise die alleinige Deutungshoheit beansprucht. Es gibt jetzt einen Grund, in dem vorstellbare Alternativerklärungen wurzeln können. Atheistische Weltbilder, aber auch andere spirituelle Glaubensgefüge und Spekulationen. So könnte es doch sein, dass Geist oder Chi sich ebenfalls evolutionär entwickelten, genauso, wie der erste Replikationsmechanismus aus unbelebten Bestandteilen entstand - die Emergenztheorie ist ein spannendes, plausibles Annahmengebilde.
Mit den Alternativen ist nun eine gewisse Beliebigkeit eingetreten. Ihnen gefällt das Wort nicht, denn Sie hängen einer Weltanschauung an? Diese ist für Sie natürlich in keinster Weise beliebig, klar. Aber dass Sie gerade von dieser, Ihrer Weltanschauung überzeugt sind, liegt doch in Ihrer Biographie begründet. Andere Biographien führen zu anderen Weltanschauungen und das ist, sorry, eine Art von Beliebigkeit. Von außen betrachtet, und das tue ich hier.
Ich schränke ja niemandes Überzeugungen ein. Denn es kann ja durchaus sein, dass eine bestimmte Weltanschauung richtig und alle anderen falsch sind. Oder dass allen Weltanschauungen ein echter wahrer Kern unterliegt, der dann die (u.U. noch nicht erkannte) Wahrheit darstellt. Aber bis wir das wissen, ist alles möglich ... Dass wir es jemals zweifelsfrei wissen werden, ist höchst unwahrscheinlich.
Schönheit der Natur, egal woher
Beliebigkeit, oder vielleicht besser Alternativenreichtum ist natürlich gefährlich. Aber er setzt Sie ja nicht gefangen, im Gegenteil wurden Sie befreit.
Sie sind Christ? Dann hat kein Atheist das Recht, Ihnen vorzuschreiben, an eine nicht geschöpfte Welt zu glauben. Ihr christlicher Glaube ist frei! Sie sind Muslim? Dann hat Darwin auch Sie in Teilen davon befreit, sich irgendwelchen Kreuzfahrerlehren unterwerfen zu müssen. Wenn Sie Atheist sind, wissen Sie sowieso, was ich meine, müssen aber daran denken, dass Sie nicht das Recht haben, jemandem seine Überzeugung zu entreißen - Sie sind frei, er ist frei.
In diesem Sinne stimmt es dann einmal: Wahrheit macht frei. Frei zu glauben, aber auch frei vom Zwang zu einem bestimmten Glauben.
Wahrscheinlich ist es diese Freiheit, die den Kreationisten ein Dorn im Auge ist. Deshalb kommen die heute, wo das mit dem auf-den-Scheiterhaufen-schmeißen nicht mehr ganz so einfach geht, auch wissenschaftlich daher und stellen eine sogenannte Alternativtheorie zur Diskussion: die Lehre vom Intelligent Design, ID.
ID besagt, dass bestimmte Aspekte des Kosmos und des Lebens besser durch eine intelligente Ursache (i.e. Gott) erklärt werden als durch andere Theorien, insbesondere besser als die Annahme, dass Leben sich durch den ungerichteten Zufall entwickelt habe. So, sinngemäß, etwa das Discovery Institute, eine führende us-amerikanische ID-Institution (die es sich auch nicht nehmen lässt, gerade heute, an seinem Geburtstag, kräftig gegen Darwin zu polemisieren).
Es gibt viele Probleme, die die Heilslehre des ID zeitigt. Andererseits ist ID aber auch überhaupt kein Problem - in bestimmter Hinsicht. Denn was ID zu sein vorgibt, ist es schlicht nicht, kann es schlicht nicht sein. ID ist nämlich keine rivalisierende wissenschaftliche Theorie, denn ID stellt sich außerhalb der Wissenschaften, da seine Annahmen prinzipiell nicht nachprüfbar sind.
Die der Evolutionstheorie hingegen schon, denn in die noch vorhandenen sowie eine Vielzahl vermeintlicher Lücken dieser Beweise stößt ID ja andauernd hinein. Natürlich ist ID herzlich eingeladen, auf diese Lücken aufmerksam zu machen; jeder ist aufgefordert, Wissenschaft durch Kritik weiterzubringen. Unredlich aber ist es, sich hinter dem Pulverrauch der vorgebrachten Kritik selbst als Wissenschaft zu gerieren, wenn man doch nichts weiter anbietet als Glaubensinhalte.
Klar ist es denkbar, dass Gott das Universum so geschaffen hat, wie es denn aussieht, und auch, dass er es nur geschaffen hat, um den Menschen darin zu platzieren. Nur überprüfbar ist das eben nicht und deshalb ist ID eine Heilslehre (wenn man denn von „Heil“ reden kann), keine Wissenschaft. Mit der gleichen Plausibilität, die das ID vertritt, kann man davon ausgehen, dass hinter allem Sein das Fliegende Spaghettimonster steckt. Und das ist mir viel sympathischer, wettert es doch wenigstens nicht gegen alle Freiheiten, die mühsam gegen die Kirchenfundamentalisten erkämpft wurden.
Was Darwin demgegenüber anzubieten hatte, war eine lange Kette von empirischen Beweisen. Was er schuf war gute, nein, allerbeste Wissenschaft, so wie sie zu sein hat. Ja, Darwin war Atheist - später. Aber der Weg dorthin war nicht leicht für ihn und die Beweise für die Evolution fand und interpretierte er schon zu Zeiten als er noch Christ war. Warum auch nicht, widersprüchlich ist beides ja eben gerade nicht.
Darwin 2009
Charles Darwin, geboren am 12. Februar vor 200 Jahren.
Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für alles!