Sonntag, 1. März 2009

Die Versucher - Cambridge II

Cambridge - Hort des Wissens und der Gelehrsamkeit - in Gedanken bin ich immer noch dort, wovon das Blog vor ein paar Tagen berichtete, als ich an dieser Stelle über die Physiker und ihre Rationalität sprach und darüber nachdachte, wie Spiritualität sich mit den Naturwissenschaften vereinbaren lässt. Aber es gab ja noch ,weit schlimmere‘ Welterklärer hier in Cambridge als die Physiker.

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The Eagle - Crick und Watsons Triumph

Wenn man vor dem King´s College links abbiegt und die Straße hinuntergeht, so fällt ein blutrotes Schild mit einem Adler und der Aufschrift „The Eagle, Cambridge“ drauf ins Auge - das ist der Pub, in dem James Watson und Francis Crick 1953 die Entdeckung der DNA bekanntgaben und somit dem Geheimnis des Lebens eine ganze Menge an Geheimnis nahmen. Und auch Darwin, der gefährlichste aller Biologen und Geheimnisentdecker der Lebenswissenschaften, hat hier in Cambridge gelehrt. Diese Lebenswissenschaftler haben uns ja noch viel schlimmere Kränkungen zugefügt als jene, die ,nur‘ die Erde aus dem Mittelpunkt des Kosmos verbannten.

Dass die unbelebte Natur nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten funktioniert, ist erstens beruhigend, denn es gibt doch eine gewisse Sicherheit, die der Glauben an wankelmütige Sturm- und Wettergötter so nicht bietet. Es ist zweitens zweckmäßig, denn auf diesen Gesetzmäßigkeiten kann man Häuser, Städte, Verkehrsmittel und vieles mehr aufbauen, die dann recht zuverlässig funktionieren werden und einem das Leben erleichtern. Drittens betrifft uns die unbelebte Natur nur indirekt, denn wir sind belebt und - so man daran glaubt, und das war immerhin jahrtausendelang weltweit Konsens - beseelt. Wir haben also eine nur lose Verbindung zur Natur, über die Forscherinnen und Forscher also ruhig herausfinden können, was immer sie mögen.

Diese relative bis absolute Unabhängigkeit von der Materie scheint nun aber gefährdet, wenn der Mensch qua wissenschaftlicher Erklärung wieder unmittelbar mit der ollen Materie in Zusammenhang gebracht wird. Schritt eins dahingehend war, dass Darwin die Evolution und die Abstammung des Menschen erklärte. Schritt zwei war dann, den Ursprung des Lebens, den schon Darwin in einer Ausgangsform allen Lebens vermutete, auch noch in Zusammenhang mit der Materie zu bringen, und das steckte hinter der Entdeckung der DNA.

Darwins Selektionstheorie mit der Vererbungslehre Gregor Mendels zu vereinen, das ging ja noch, ließ es den ganz Verzweifelten doch noch Platz, irgendeine distinkte Lebenskraft anzunehmen, auch wenn natürlich schon Darwin unter den heftigsten Anfeindungen zu leiden hatte. Aber dass die DNA aus Eiweißen besteht, die wiederum aus Aminosäuren bestehen, die wiederum aus stinkgewöhnlichen Molekülen und Atomen bestehen, die auch in Stein, Wasser und Schlamm stecken, und dass diese Zusammenhangskette in der umgekehrten Richtung zu sich replizierenden Gebilden führt die ... leben (!) ..., das war ein harter Schlag, denn damit war jegliche geheimnisvolle Lebenskraft erledigt und auch das Leben materiell erklärbar geworden.

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Ein Hörsaal in Cambridge - ein teuflischer Hort?

Da sitze ich jetzt also im „Eagle“, blicke durch den typisch englischen, dunkel-heimeligen Pub, und stelle mir die hagere Gestalt Francis Cricks vor wie er, das Bierglas erhoben, einem atemlosen akademischen Publikum von dem Triumph der wissenschaftlichen Erkenntnis berichtet. Sie werden das Foto vielleicht kennen, an das ich gerade denken muss.

War das also der Tod aller spirituellen und religiösen Hoffnung, wie beispielsweise Richard Dawkins (allerdings in Oxford) annimmt?

Das ist eine Glaubensfrage und jeglicher wissenschaftlicher Erklärung nicht zugänglich.

Dass das so ist, ist mir natürlich schon lange klar, aber hier im „Eagle“ erfahre ich die Sicht des Atheisten am eigenen Körper als Glaubenshaltung. Wieder berührt mich, wie schon bei Newtons Apfelbaum vor dem Trinity College, ein Schauder und ein Gefühl der Andacht ergreift mich - hier wurde Wissenschaftsgeschichte geschrieben! Obwohl das Ereignis im „Eagle“ wesentlich besser dokumentiert ist, als die Übergabe der Zehn Gebote an Mose auf dem Sinai, so kann das Gedenken daran doch ganz ähnlich wirken.

Was mein subjektives Gefühl mit Atheismus zu tun hat, fragen Sie? Wenig, denn es macht mir nur klar, dass auch Wissenschaft Ehrfurcht, sogar Andacht hervorrufen kann. Für mich ist das aber ein Hinweis auf eine gewisse Verwandtschaft zwischen zwei Wissensformen, die einander ansonsten diametral gegenüberstehen. Und in der Tat geht die Verwandtschaft noch weiter, wenn man diesen Gedanken einmal zulässt.

Genau wie Religion und Mythos kann Wissenschaft inspirierend und ehrfurchtgebietend wirken und beweist damit, dass sie Menschen am Kern ihres Wesens anzusprechen vermag. Vor den unüberwindbaren Mauern der Erkenntnis stehend, die der Anfang aller Zeiten, der Raum hinter dem Universum und die Räume kleiner als die erfassbare Materie darstellen, kann auch Wissenschaft nur noch spekulieren.

Dass die Erklärbarkeit der Aggregation von Materie zu Gestirnen und Planeten und die Organisation von Molekülen in Replikatoren und Organismen ein Beweis dafür sein soll, dass dies alles ist, was es gibt und dass kein Gott das alles veranlasst habe, ist nicht weniger Spekulation als das Gegenteil.

Mit gleichem Recht und prinzipiell nicht geringerer Überzeugungskraft kann der Gläubige darauf hinweisen, dass gerade die Aggregation von Materie zu Sonnen und mindestens einem Planeten, der Leben tragen kann, sowie die erstaunliche Fähigkeit unbelebter Materie, sich zur Lebensfähigkeit hin zusammenzufinden ein sicherer Hinweis darauf ist, dass es eine Wirkursache geben muss, die dieses an sich sehr unwahrscheinliche Geschehen zustande kommen lässt.

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Niemand kann beweisen, dass es ihn nicht gibt

Das erstaunliche Wunder der Komplexität des Seins lässt sich auf beide Weisen und wahrscheinlich mittels einer unlimitierten Anzahl weiterer Ansätze erklären. Doch sind das in allen Fällen eigentlich keine Erklärungen, sondern Auslegungen. Wessen man anhängt ist die Sache jedes Einzelnen. Verboten ist nur, jemanden anderen zur Übernahme der eigenen Auffassung zu zwingen.

Was ich in der Atmosphäre Cambridges allerdings außerdem irgendwie bestätigt gespürt habe, ist, dass die Wissenschaftler in den allerwenigsten Fällen zu missionieren versuchen und einen stattdessen üblicherweise nach eigener Façon glücklich werden lassen. Sich bitte zurückzunehmen, das muss man beiden Seiten sagen; allerdings stehen auf der einen Seite des Zauns nur ein paar Gestalten, aber auf der anderen Seite stehen ganze Horden.

Bitte? Ach, was richtig ist, wollten Sie noch wissen? Atheismus oder Theismus? Das fragen Sie doch bitte keinen Agnostiker ...



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