Aus dem Wunsch heraus, der Forschung über das Phantastische eine Organisation an die Seite zu stellen, und so alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit dem Thema beschäftigen, nachhaltig zu vernetzen, ganz wie es die großen englischsprachigen Organisationen seit Jahrzehnten erfolgreich vorleben, entstand ein Verein, dessen erste Schritte in Hamburg an diesem Wochenende erwarten lassen, dass er dieser Aufgabe gerecht wird.
Na gut, es war schon eine Art Klassentreffen, denn man kennt sich ja. Aber um etwas zu bewegen, bedarf es eben doch für viele Aufgaben der Organisation.
Was meiner Meinung aber noch wichtiger ist, ist das zweite Ziel, das sich ohne institutionelle Anlaufstelle auch nicht effizient verwirklichen ließe – die Einbindung von Wissenschaft in die außerwissenschaftlichen phantastischen Diskurse von Urhebern und Publikum. Autorinnen und Fans waren aufgerufen, sich an der GFF zu beteiligen, und der Ruf wurde von beiden erhört.
Wie wichtig das war, zeigte sich bei der anregenden Schlussdiskussion, auf der Autoren und Vertreter von Fanorganisationen über ihre Arbeit und Wünsche aufklärten und der Wissenschaft darlegten, was sie auch noch tun kann, außer innerhalb des Elfenbeinturmes zu agieren. Als grenzgängerischer Autor/Lektor/Experte bin ich persönlich diesen Anliegen natürlich besonders zugeneigt, hatte aber den Eindruck, dass das allgemein als ganz wichtiger Punkt empfunden wurde. Die Verbindung zum Publikum und zu den Autoren (natürlich auch Regisseure, Designer, Musiker - zu allen Urhebern eben) ist wesentlicher Bestandteil des GFF und darf nicht aus den Augen verloren werden.
Inhaltlich war die Konferenz breit gefächert, aber trotzdem drängte sich mir durchgängig der Eindruck einer Zweiteilung innerhalb der wissenschaftlichen Interessen auf. Ganz salopp gesagt, bezeichne ich das mal als das unterschiedliche Erkenntnisinteresse an Struktur und Inhalt der Fantastik, das dann auch zu Reibungen und (wahrscheinlich vermeidbaren) Inkompatibilitäten führte. Jedenfalls scheint mir da im Augenblick noch eine vermittelnde Instanz zu fehlen, die Inhalt und Struktur zusammenbringt, vielleicht sogar zu konzertierten Forschungsvorhaben. Noch jedenfalls erstreckt sich die Inkompatibilität bis hin zu einer Unvereinbarkeit in der Terminologie.
Und nein – dies für diejenigen von Ihnen, die dabei waren – damit meine ich zwar auch, aber bei Weitem nicht nur den Disput zwischen Uwe Durst und mir (der sich im Übrigen im persönlichen Gespräch viel weniger scharf darstellte); diesen Eindruck empfand ich fast durchgängig, je nachdem in welchem Panel man gerade saß. Während die einen streng die Form untersuchten, machten sich die anderen – etwa äußerst launig Marleen Barr mit ihrer Beobachtung, dass man die New York Times nicht verstehen kann, wenn man nicht weiß, wer Spock und Darth Vader sind, dass man also die „language of science fiction“ beherrschen muss – über die Lebenswirklichkeit her und berichteten davon, wie die Phantastik diese beeinflusst.
Festgehalten werden muss dabei, wie ich finde, dass beide Aspekte ihre volle Berechtigung haben, was die Forscherinnen und Forscher dann auffordert, sich dem anderen Erkenntnisinteresse zumindest so weit aufgeschlossen zu zeigen, dass man anerkennt, dass es eine Daseinsberechtigung hat. Und vielleicht findet man ja doch auch noch auf Arbeitsebene zueinander – ich bin sicher, man würde sich gegenseitig befruchten.
Grundsätzlich sind die Inkompatibilitäten beider Betrachtungsweisen nämlich nicht, sondern vom jeweiligen Erkenntnisinteresse abhängig. Wenn ich also höre, dass in einer Diskussion, an der ich nicht teilnahm, gesagt wurde, mein Realismusbegriff sei „noch eindimensional“, dann verweise ich darauf, dass ich diese Eindimensionalität benötige, wenn ich das Verhältnis von fiktivem Inhalt und der nichtfiktionalen Lebenswelt untersuche und sie deshalb für diese Fragestellungen beibehalten werde. Bei der Betrachtung anderer Aspekte kann das anders aussehen.
("Lesender" - aus Anwyn - eine phantastische Reise)
Was ich zudem mit einem gewissen Erstaunen bemerkte, ist, dass man sich offenbar immer noch dafür entschuldigen muss, wenn man sich als Wissenschaftlerin ernsthaft mit Phantastik beschäftigt. Das korrespondiert dann mit der Aussage der Autoren, dass man weiterhin nicht als richtiger Schriftsteller anerkannt wird und mit dem Bericht der Fans, dass man sowieso aus der Spinnerecke komme. Da hätte ich gedacht, dass wir auch in Deutschland mittlerweile weiter wären.
Doch es wurde nicht nur berichtet, dass man sich rechtfertigen muss, auch der Duktus sehr vieler Vorträge war von dieser Haltung geprägt und kaum jemand kam ohne apologetische Anmerkungen aus, die insgesamt von einem zu Unrecht unterentwickelten Selbstbewusstsein sprachen. Das mache ich zwar auch oft, aber ich habe eben in den letzten Jahren öffentlich auch hauptsächlich entweder mit Fans zu tun, denen ich Munition zur Verteidigung ihrer phantastischen Leidenschaft an die Hand geben möchte, oder spreche andererseits vor Unbeteiligten oder Skeptikern, denen ich darlegen muss, welche Formen von Relevanz die Phantastik annehmen kann. (Lassen Sie sich bspw. mal einladen, vor Rotariern über Fantasy zu sprechen – man schaut sie an wie ein exotisches Tier, aber nach dem Vortrag haben Sie manches Auge geöffnet.)
"Amerika (und UK), Du hast es besser" – im englischsprachigen Raum scheint das längst nicht mehr so ein Problem zu sein. Warum nicht das gleiche Selbstbewusstsein hier? Brian Stableford jedenfalls forderte in seiner Keynote „the GFF should explore the possibilities and and not only defend the phantastic against its critics“. Genau!
Die Defensivität kann natürlich auch von einer gewissen Vereinzelung oder besser Insellage der heterogenen Gruppen, die sich mit Phantastik beschäftigen, herrühren, denn man ist sich der argumentativen und anderer Stärken der anderen nicht unbedingt ausreichend bewusst. Dem genau kann natürlich eine Organisation wie die GFF und eine offengehaltene Tagung wie die „Fremden Welten“ Abhilfe verschaffen und hat dies auch in ersten Schritten schon getan.
Nächstes Jahr Salzburg und 2012 Zürich werden das fortsetzen und die neuen und alten Bekanntschaften aus Hamburg werden die Inseln mit Fähren und Brücken verbinden, so dass man insgesamt über die Gründungskonferenz sagen kann: Voller Erfolg!
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