Freitag, 25. März 2011

Tolkien-Lese-Tag

Es ist der 25. März. Auf den Tag genau heute vor vielen, vielen Jahren wurde der Eine Ring vernichtet und das Dritte Zeitalter endete mit dem Sieg über das Böse. Mit einer kleinen Pause von ein paar tausend Jahren dazwischen feiern Menschen auf der ganzen Welt diesen Sieg, indem sie sich versammeln und einander Geschichten aus der Feder des großen Chronisten des Ringkriegs, John Ronald Reuel Tolkien, vorlesen. Ich hoffe, Sie haben das Vergnügen, das heute auch erleben zu dürfen.

Ich für mein Teil werde den Tag in Oberhausen, in der Buchhandlung von Lars Bauman - Zweitbuch, Dudelerstraße 17 - begehen und dort natürlich auch lesen.

Dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, einen Abschnitt aus dem Kapitel "Über Hobbits" aus dem HdR und anschließend aus einem Brief an Houghton Mifflin zu lesen, den Tolkien 1955 schrieb, und in dem er eine ganze Reihe von Motiven anführt, die ihn dazu brachten, die Ringerzählung zu verfassen.

In "Über Hobbits" kann man nämlich sehen, welche Lebensweise der Professor schätzte. Wie er andernorts bekanntermaßen sagte, war er ja in allen Aspekten außer der Körpergröße selbst ein Hobbit, und das idyllische Landleben - friedlich, geordnet, frei von Hektik, erdverbunden - war seine Idealvorstellung einer angemessenen Lebensweise. Das mag langweilig und konservativ erscheinen, aber die Hobbits können zur Not ja auch anders und eine ganze Welt retten. So dürfte der Professor sich und seine ganz normalen Mitmenschen erträumt haben.

Diese Beobachtung ist für das, worauf ich heute hinauswill, entscheidend. Wenn ein Autor so unbedingt eine Geschichte erzählen will, wie Tolkien von Mittelerde erzählen wollte, dann gibt es enge Verbindungen zwischen Erzähler und Geschichte. Im Falle Tolkiens sind die vielfältig nachweisbar, und das genannte Lebensideal ist nur eine der Parallelen. Der eigentliche Punkt ist, dass die reale Lebenswelt in die phantastische Erzählung hineinreicht und zeigt, dass die Phantastik so phantastisch gar nicht ist.

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Ab wann wird´s phantastisch?

In dem Brief an seinen amerikanischen Verlag nennt Tolkien mehrere solcher Parallelen. Zuerst die zu seiner Profession, der Sprachwissenschaft, wenn er sagt, dass er Mittelerde schuf, um den von ihm erfundenen Sprachen eine Heimat zu geben. Doch das ist nicht der einzige Grund und wäre auch ein wenig l´Art pour l´Art. Es ist aber auch eine stark christlich inspirierte Erzählung, es ist eine Geschichte über die Kraft der Schwachen im Angesicht der Tyrannei und es ist eine Geschichte über die Schönheit und Unbändigkeit der ungezähmten Natur, führt Tolkien in dem Brief weiter aus. Der Herr der Ringe enthält eine Vielzahl von "Kommentaren über die Welt", wie er es anderswo mal sagte.

Wenn das so ist, dann ist die phantastische Welt Mittelerde aber überhaupt nicht phantastisch. Dann ist sie eben das - ein Kommentar zur Welt, in der wir wirklich leben. Und wenn das auf Mittelerde zutrifft, dann gilt es für die Phantastik insgesamt - sie ist nicht phantastisch, sie handelt mit dem Mittel der Metapher vom realen Leben.

Es ist nicht einfach als spannende Unterhaltung gemeint, wenn in Star Trek eine Reihe von Folgen die Prime Directive behandelt, dass es der Föderation verboten ist, in die Geschicke weniger entwickelter Planeten einzugreifen und in diesen Folgen dann gezeigt wird, dass es manchmal mit Nichteinmischung einfach nicht getan ist. So ein Thema erzählt viel mehr über Srebrenica, Ruanda und heute Libyen und die Elfenbeinküste als von fernen Planeten.

Es ist auch kein Zufall, dass die High Fantasy in der Regel in vorindustrieller Zeit spielt. In Zeiten also, wo es mit Knöpfchendrücken nicht getan ist, sondern es auf die mentale Stärke von Individuen ankommt - nicht umsonst wird die Stärke von Magie in fast allen Geschichten von der persönlichen Stärke ihrer Nutzer abhängig gemacht. Das sind Träume, Überlegungen und Spekulationen über den Wert und Einfluss des Individuums, die wir im als ohnmächtig erlebten realen Leben stellvertretend ausleben wollen.

Nein, die Phantastik ist nicht phantastisch, sie berichtet auf ganz erhellende Weise von uns und unserem realen Leben. Oder glauben Sie, dass Goethes Gedicht vom Zauberlehrling, dem sein halbgares magisches Können über den Kopf wächst, irgendetwas anderes meint als einen Kommentar auf die menschliche Realität abzugeben? Dazu mehr im Frühsommer, wenn mein langer Artikel über dieses Thema im Tagungsband der GFF erscheint.

Aber erst einmal: Einen schönen Tolkien-Lese-Tag!



Donnerstag, 17. März 2011

Aktuell und traurig: die Reichweite menschlichen Betragens

Die Ereignisse in Japan und Libyen zeigen, wie wahr der alte Spruch des Philosophen Thomas Hobbes ist: „Homo homini lupus est, homo homini deus est.“ Der Mensch ist des Menschen Wolf, der Mensch ist des Menschen Gott – wenn auch Letzteres eher selten zu beobachten ist.

Aber heute schon, wo der Mensch zeigt, zu welcher Größe, welcher Niederträchtigkeit und welcher Erbärmlichkeit er fähig ist – groß die Helden von Fukushima, niederträchtig Gaddafi und seine Schergen, erbärmlich der entwickelte Westen ...

Es kommt mir nicht leicht aus der Tastatur, das Wort vom Helden, aber die Fünfzig von Fukushima, diese Techniker und Arbeiter, die wissen, dass sie sterben werden – die es wussten, bevor sie ihre verzweifelte Arbeit begannen –, das sind Helden. Sie opfern sich für ihre Familien und die Gemeinschaft und zeigen damit, welche Größe der Mensch in der Not zu zeigen imstande ist. Wanderer, kommst Du nach Tokio, so verkünde dort, dass du uns hier habest liegen sehen, wie es die Pflicht befahl ...

Das Wolfsgesicht ist zur gleichen Zeit in Libyen zu sehen, wo eine Diktatorenfamilie ihr Volk abschlachtet und bald, nach dem Sieg, dazu übergehen wird, grausamste Rache an den überlebenden Männern, Frauen und Kindern zu üben. Und werden Saif al Islam und seine Brüder sich in fünf Jahren wieder lachend in Monaco, London und Marbella im Kreise der Reichen und Schönen amüsieren, ohne dass ihnen jemand etwas nachträgt? Wahrscheinlich schon.

Denn da sind ja noch die Erbärmlichen, die schlaff und mutlos zwischen Wolf und Gott stehen: die Regierungen des freien Westens, die solange taktieren, bis es niemanden mehr zu retten gibt und die nach einer Schamfrist das mit Blut versetzte Öl des Diktators kaufen werden. Ein Beispiel werden sie damit gegeben haben, dass all die anderen Lukaschenkos, Mugabes und Ahmadinedschads darin bestärken wird, anders als Mubarak nicht einfach zu verpuffen, sondern auch über einen Leichenteppich zu gehen.

Was der Trauer ob der aktuellen Ereignisse die Krone aufsetzt ist, dass selbst die Helden, nicht nur kein glückliches Ende finden werden, sondern dass auch all ihre Handlungen umsonst gewesen sein werden. Außer, dass sie damit ein Zeichen gesetzt haben. Ein Zeichen dafür, wie der Mensch auch sein kann. Aber so war es schon immer, und mehr ist wohl nicht zu erhoffen.

[Update 25.3.]
Sie greifen also doch ein, und weltweit gab es zuerst Zustimmung, doch schon ganz schnell wird kritisiert und nach einer Woche deutet sich an, dass es mit sehr ungewissem Ausgang noch lange dauern wird.

Trotzdem war das Eingreifen so richtig, wie es falsch ist, anderswo nicht einzugreifen (Elfenbeinküste, bald vielleicht Syrien?). Was wir brauchen ist eine "Zeitenwende" (Darnstädt, s. Link), die die Menschenrechte über die Staatssouveränität stellt. Was wir brauchen ist ein unter checks & balances stehender Weltpolizist.

Ein guter Artikel dazu steht heute auf Spiegel Online.

Freitag, 11. März 2011

Phantastische Artikel gesucht

Heute veröffentlichte die Gesellschaft für Fantastikforschung einen zeitlich nicht befristeten Daueraufruf, wissenschaftliche Artikel, die sich mit dem Thema Phantastik befassen, für das bald erstmalig erscheinende Vereinsjournal, die Zeitschrift für Fantastikforschung, einzureichen:

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Beachten Sie bitte, dass die Zeitschrift ab 2011 immer wieder erscheinen wird, und dass Sie deshalb, wann immer Sie ein gutes Thema haben, dieses einreichen können.

Und haben Sie auch nicht zu hohen Respekt vor der Wissenschaft. Natürlich kann ein akademisches Journal nur Beiträge veröffentlichen, die wissenschaftlichen Standards entsprechen. Aber sooo hoch sind die gar nicht, und die paar formalen Anforderungen sind ein Klacks. Was zählt, sind Ihre Idee, Ihre These, Ihre Befunde.

Wenn Sie möchten, können Sie mich auch gerne kontaktieren und ich berate Sie unverbindlich (und natürlich kostenlos) zu Fragen einer Veröffentlichung in der ZFF.