Samstag, 6. Dezember 2008

Nachgewiesen: Geteilte Freud' ist doppelte Freud' ...

Eine über fast 20 Jahre angelegte Studie von James Fowler und Nikolas Christakis mit mehr als 5 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat jetzt Beweise dafür erbracht, dass an dem Sprichwort von der geteilten Freude etwas dran sein muss. Es konnte nämlich gezeigt werden, dass Glücklichsein auch ein soziales Phänomen ist, ein Phänomen vor allem, das sich in sozialen Netzwerken wie Familien, Nachbarschaften, Betrieben, Vereinen usw. in der Art einer Grippeinfektion verbreitet.

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Die Studie, ein Nebenprodukt einer Langzeituntersuchung über Herzkrankheiten, die seit 1948 in Massachusetts, USA, durchgeführt wird, konnte zeigen, dass die Empfindung, glücklich zu sein, sich in sozialen Gruppen verbreitet und zwar über bis zu drei Stufen, so dass also ein glücklicher Ehemann einer Kollegin aus dem Sportverein Ihrer Frau, den Sie nie kennenlernen werden, dazu beiträgt, Ihr Leben zu verbessern. Und was noch besser ist, Unglücklichsein verbreitet sich auf diesen sozialen Wegen viel schlechter als Glücklichsein. Das steht in einer vorgestern erschienen Studie des British Medical Journal, deren Text kostenfrei online heruntergeladen werden kann, und zwar hier. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse gibt es bei e-Science-News. Eine deutschsprachige Quelle ist mir leider nicht bekannt.

Die Begründung für die Infektiösität positiver Stimmungen wird von den Forschern im Bereich der Evolutionsbiologie gefunden, das Phänomen wäre also somit genetisch determiniert. Es ist seit langem bekannt, dass es eine biologisch fundierte Anlage zur Empathie, zum Mitfühlen also gibt, die auch soweit geht, dass eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit besteht, sich von den Stimmungen anderer Menschen beeinflussen zu lassen: Dein Lachen ist ansteckend, sagt schon der Volksmund und liegt damit wie so oft richtig. Auch bei Primaten gibt es das Phänomen der „play faces“, der freundlichen Gesichtsausdrücke, die den Zusammenhalt in Affenhorden stärken.

Genauso wie Gelächter und Lächeln dient demnach auch beim Menschen die Empathie dazu, soziale Bande zu stärken. Das ist soweit nichts Neues. Was aber neu ist, ist erstens, dass das im Vergleich zu bloßem Lächeln äußerst komplexe Gefühl des Glücklichseins sozial übertragen wird und dies zweitens über weitere Strecken als von Individuum zu Individuum, nämlich quer durch soziale Netzwerke und über die Grenzen des persönlichen Bekanntseins hinweg. Kaskaden des Glücks sind über Bekanntschaftsgruppen hinweg beobachtbar.

Das ist im Übrigen auch ein in keiner Weise überraschender Befund, auch wenn der Nachweis erst jetzt erstmals gelang. Denn Glücklichsein ist eine ganz wesentliche Bedingung für das gelingende Leben eines mit Bewusstsein und Selbstbewusstsein ausgestatteten Geschöpfes, eines Geschöpfes also, das auch unabhängig von Instinkten sein Leben führen muss. Dass die Evolution eine Übertragbarkeit dieses Zustandes hervorgebracht hat, ist nur eine weitere Ausformung der evolutionstypischen Eigenschaft, alle möglichen Bedingungen für das Überleben zu fördern. Dass sich Unglücklichsein - wenn auch aus noch nicht geklärten Umständen - nicht so gut verbreitet, ist ein weiteres Indiz für die Stichhaltigkeit der Hypothese von der evolutionsbiologischen Herkunft des nachgewiesenen Phänomens.

Ich halte das für einen weiteren Indikator dafür, dass große Teile der oft verteufelten soziobiologischen Annahmen richtig sind (der ‚böse’ Edward Wilson - Sie erinnern sich?), vor allem der Teil, der besagt, dass wir Menschen schon von unserer Biologie her soziale Wesen sind, die einander zur bestmöglichen Entfaltung der Persönlichkeit wie auch des persönlichen Glückes brauchen. Da dies aber nur bei Beachtung ethischer Grundregeln geht - schließlich liegen uns auch negative Emotionen wie Neid, Habgier, Eifersucht inne - sehe ich mich ein weiteres Mal darin bestätigt, die von der Philosophie schon lange für überholt gehaltene Gefühlsethik David Humes zu rehabilitieren.

Das ist das Programm, wie ich es in meiner Dissertation ausführte. Dort schlug ich vor, eine durch rationale und an John Rawls´ Spzialphilosophie orientierte Gesetze eingegrenzte Emotionalität als Richtschnur für das bestmögliche Zusammenleben zur Geltung zu bringen. Der nun vorgelegte Befund über die Verbreitungsweise von Glücklichsein hat zwar direkt nichts mit Ethik zu tun, aber er weist auf den Stellenwert des Glückes für das Überleben selbstbewusster Lebewesen hin.

Dass dieses Glück im hohen Maße durch die soziale Lebensweise in Gruppen gefördert wird und durch diese Lebensweise verstärkt wird, während Unglücklichsein diese Verstärkung nicht erfährt, bedeutet, dass unsoziale Verhaltensweisen wie Egoismus, Rücksichtslosigkeit und sozialpathologische Verhaltensweisen, für das eigentliche Wesen des sozialen Lebewesens Mensch nicht natürlich sind, sondern Auswüchse darstellen, die sich für das Glück und Überleben der Menschen als kontraproduktiv erweisen. Und das ist wiederum ein Befund, der für die Ethik von hoher Relevanz ist.

Eine Ethik, die wie die von mir vorgeschlagene Gefühlsethik beschaffen ist, schafft genau den Raum, der für die Verbreitung des Glücklichseins förderlich ist. Insofern lese ich den Befund aus der Studie von Fowler und Christakis als Bestätigung dafür, mit meiner Ethik auf dem richtigen Weg zu sein.

gaensebluemchen


Allerdings gibt es keinerlei Erkenntnisse darüber, wie es mit der Verbreitung des Glücklichseins in internetbasierten sozialen Netzwerken wie MySpace, Facebook, Studi- und Schüler VZ oder Xing ist. Da sich in der Studie jedoch zeigte, dass die infektiöse Verbreitung von Gefühlen stark von der Nähe der Menschen zueinander abhängt, glaube ich nicht, dass Computernetzwerke in der Lage sind, Glückscluster in der gleichen Art auszubilden wie Netzwerke auf der Basis persönlichen Kontakts. Da fehlt einfach eine wichtige soziale Komponente, die sich nicht technisch vermittelt erleben lässt, wie ich schon vor über zehn Jahren im Computer Mediated Magazine ausführte.

Zumindest aber sind Computernetzwerke dazu in der Lage, Erstkontakten den Weg zu ebnen und später, wenn man sich im echten Leben kennen und mögen gelernt hat, Kontakte aktuell zu erhalten. Zudem werden die Kontakte über weit auseinander liegende Gruppenzugehörigkeiten hinweg - wie verschiedene Länder, Ethnien und Weltanschauungen - deutlich vereinfacht und schaffen so vorher in dieser Form nicht existierende Berührungspunkte, die sich zu neuen Gruppen und neuen Verbindungen zwischen Gruppen ausbilden können. So gesehen können Computernetzwerke als Keimzellen sozialer Gruppen dienen und später die Aufrechterhaltung von Verbindungen stark vereinfachen. Indirekt dienen sie dann auch dazu, Glück zu verbreiten ...



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