Samstag, 21. März 2009

Al Jarreau oder Vom Glück, das die Kunst beschert

Gestern Abend durfte ich in der Jahrhunderthalle in Bochum Al Jarreau und Band zuhören - das war soooo guuut ... Musik und Kunst können unmittelbar glücklich machen! Ich hoffe, das wissen Sie aus eigener Erfahrung.


karten_jarreau

Die Stimme dieses Mann dringt unmittelbar in meine Seele ein - jedesmal, schon auf dem iPod - und löst dort Glücksgefühle aus, ganz, als legte er einen Schalter um; es ist fast unglaublich. Ich unterschreibe jederzeit, dass die Stimme dieses Mannes „one of the most precious treasures of this world“ ist.

Andererseits ist diese beglückende Wirkung aber vielleicht doch ganz gut glaublich, denn ist dieser unvermittelte Effekt mitten hinein in das Emotionszentrum nicht das Wesen aller Kunst? Natürlich nicht jede künstlerische Ausdrucksform bei jedem Menschen, aber hat nicht jeder von uns mindestens einen Punkt, wo ihn die Erzeugnisse menschlicher Kreativität unmittelbar berühren? Das mag bei der einen eine bestimmte Art von Skulpturen sein, beim anderen Gemälde, beim dritten Musik, bei der vierten Buch und Gedicht und bei wieder anderen Schauspiel, Varieté, Artistik. Und viele von uns erleben es gleich mehrfach und in verschiedenen Genres ...

Im Falle der Musik scheinen aber besonders viele Menschen ‚anfällig‘ für die Wirkungen der Kunst zu sein. Lange nicht jeder malt oder fotografiert bzw. sieht sie sich an. Viele lesen nicht. Aber richtige Musikmuffel gibt es meines Eindrucks nach kaum. Musik scheint universell zu berühren.

Die Wissenschaft untermauert das übrigens: Unter dem Titel „Weltsprache Musik“ berichtet wissenschaft.de, von der überkulturellen Verständlichkeit von Musik: „Musik ist eine Sprache, die anscheinend weltweit verstanden wird: Selbst Angehörige von Naturvölkern, die nie zuvor Kontakt mit westlicher Musik hatten, können die emotionalen Anteile darin auf Anhieb identifizieren.“

Hmm, was sagt uns das? Wohl zuerst, dass wir Menschen eben doch alle gleich gestrickt sind, egal ob weiß, gelb, schwarz, rot, Mann, Weib; zumindest in unseren grundlegenden Anlagen. Denn ob es nun Hiphop oder Klassik sind, Schlager oder Jazz, die einen berühren, das ist egal. Rhythmus und Tonlagen kommen an, bei dem einen dieser Rhythmus, bei dem anderen jener. Bei mir war es gestern in ganz, ganz hohem Maße der Jazz von Mr Jarreau ...

aljarreau

Was dabei berührt, sind Schönheit und eine situationsbedingte Stimmigkeit, die mit der jeweiligen Stimmung korrespondiert - oder sie konterkariert -, die man gerade sucht oder zu meiden versucht. Ästhetik und Emotion - die Basisparameter der Musik wie der Kunst überhaupt. Antrieb und Ausdruck der künstlerischen Kreativität.

Losgelöst von einem im Alltäglichen verhafteten, konkreten „Wozu?“ oder „Um zu ...“ spricht die Kunst die Seele unmittelbar an. Und erzeugt Glücksgefühle. Macht glücklich, Heitert auf, Lindert Leid. (Dass sie andererseits auch negativ verstärken können ist mir bewusst, aber nicht das, was ich meine.) Und Negatives ist schon gar nicht das, was der gestrige Abend in mir ausgelöst hat.

Versuchen Sie es bei Gelegenheit mal mit einer 20-minütigen Interpretation von „Take Five“. Oder mit einem Galerie- oder Museumsbesuch, gutem Kino, einer Lesung, dem Zirkus. Nur denken Sie daran, sich regelmäßig der Kunst auszusetzen! Oder Sie - noch besser - selbst zu üben. Wir sind nicht nur hier, um zu essen und zu arbeiten ...


Montag, 16. März 2009

Erfolg gegen die Vorratsdatenspeicherung

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es ... es lohnt sich eben doch, in dieser Gesellschaft die Hände nicht in den Schoß zu stecken, sondern für seine Überzeugungen zu kämpfen. Soeben ist ein eindeutiges Urteil gegen die Vorratsdatenspeicherung bekannt geworden, die wir Freiheitsredner als unverhältnismäßig, undemokratisch und als gefährliches Instrument bekämpfen:

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veröffentlichte gerade auf seiner Seite:
„Als erstes deutsches Gericht hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden die flächendeckende Aufzeichnung der Telefon-, Handy-, E-Mail- und Internetnutzung der gesamten Bevölkerung (sog. Vorratsdatenspeicherung) als unverhältnismäßig bezeichnet.
In der heute vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veröffentlichten Entscheidung (Beschluss vom 27.02.2009, Aktenzeichen 6 K 1045/08.WI) heißt es wörtlich: ‚Das Gericht sieht in der Datenspeicherung auf Vorrat einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Datenschutz. Sie ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Der Einzelne gibt keine Veranlassung für den Eingriff, kann aber bei seinem legalen Verhalten wegen der Risiken des Missbrauchs und des Gefühls der Überwachung eingeschüchtert werden [...] Der nach Art. 8 ERMK zu wahrende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist durch die Richtlinie [zur Vorratsdatenspeicherung] nicht gewahrt, weshalb sie ungültig ist’.“

Der gesamte Wortlaut der Entscheidung ist unter obigem Link nachzulesen. Er richtet sich ausdrücklich sowohl gegen die bundesdeutsche Regierung als auch gegen EU-Vorgaben.

Es ist schon noch so, dass man in diesem Staat durch Engagement und Mitarbeit etwas erreichen kann. Und lebendig und lebenswert kann diese Gesellschaft nur solange bleiben, wie ihre Bürgerinnen und Bürger an ihr teilhaben. Zum Beispiel auch durch Einspruch und Kritik. So viel sollte auch Ihnen dies Land wert sein. Überlassen Sie es nicht den anderen!

logo_freiheitsredner

Donnerstag, 12. März 2009

Apropos Waffen ...

..., die braucht niemand in diesem Lande, auf jeden Fall nicht zuhause!

Welchen guten Grund kann es geben, in der BRD oder irgendeinem anderen entwickelten, demokratischen Land der Welt Waffen zuhause haben zu wollen?

Wozu auch? Zur Verteidigung? In dem praktisch nicht vorkommenden Fall, dass Sie zu Hause unter Waffengewalt überfallen werden, haben Sie Ihre Kanone sowieso gerade nicht in der Hand und woanders nützt sie dann nicht. Bei allen anderen Zugriffen auf Ihr Heim und Ihr Eigentum reicht der Polizeiruf aus. Und wer bekanntermaßen wertvolle Dinge besitzt (Juweliere etc.) soll die woanders lagen und bei jeder Notwendigkeit, sie zu bewegen, professionelle Kuriere anheuern (auf deren Honorar kommt´s dann auch nicht mehr an).

Was sonst noch? Jäger? Sportschützen? Wem diese Hobbys gefallen - gerne. Aber die Waffen aller Jäger und Sportschützen können in den jeweiligen Vereinen unter Verschluss aufbewahrt und durch gewählte oder angestellte Waffenwarte ausgegeben werden. Wer sich nicht daran hält, der fliegt und die Waffen werden enteignet.

Das Gleiche gilt für Waffensammler - die können sich in Vereinen zusammenschließen und dito.

Was also hindert, genau dies per Gesetz zu beschließen? Ich sehe keinerlei Recht persönlicher oder anderer Art, das dadurch verletzt würde.

Wenn doch dies in diesen Tagen wenigstens als Lehre gezogen würde ...



Donnerstag, 5. März 2009

Was kann die Kirche grausam sein ...

In Brasilien wird ein neun (!) Jahre altes Kind vergewaltigt und wird schwanger. Mit Zwillingen. Die sie abtreiben lässt. Und die katholische Kirche exkommuniziert sie ...

Das Kind lebt in einem zutiefst katholischen Land. Wahrscheinlich ist sie gläubig erzogen worden. Wahrscheinlich glaubt sie den Unsinn, das Gott ihr die Hölle zuteilt, jetzt wo sie kein Glied dieser Organisation mehr ist. Wie hart wollen diese sogenannten Seelsorger eigentlich noch auf ein Kind einschlagen, das sowieso schon schwerstverwundet ist?

Nichts, gar nichts hat sie anscheinend von der Grausamkeit verloren, die diese Kirche so oft auszeichnete. Eine Kirche die millionenfach mordete, beim Morden zuschaute und jetzt darum bemüht ist, ihre schlimmsten Vertreter wieder heim ins Reich zu holen. Pfui! Soll euch doch der Teufel holen, er hat es ja nicht weit, wohnt er doch offensichtlich in den Häusern, in denen Ihr so etwas beschließt.

Ich weiß, es gibt so viele Punkte, die man dieser Kirche anlasten könnte. Aber dieser Anschlag auf ein Kind, der erzürnt mich in allerhöchstem Maße. In diesen Tagen ist dieser merkwürdige Holocaustleugner ja schon schlimm genug gewesen, aber diejenigen, die der angreift, können glücklicherweise gut zurücklangen. Dieses Kind jedoch ... schämen sollte sich diese Bande, in Grund und Boden schämen ...

Bleibt nur zu hoffen, dass dieses arme Kind so stark wird, dass ihr die Exkommunikation in einem Land, das die meisten Katholiken weltweit beherbergt, nichts ausmachen wird. Jeglicher Glaube, liebes Kind, ist besser als der Glaube an die Weisungen einer derart menschenverachtenden Institution.

Aber der Kirche? Was ist der zu wünschen? Einsicht? Ich glaube, dafür ist es zu spät. Eine neue Kirche ist vonnöten ...

Dienstag, 3. März 2009

Tot, richtig tot? - ein paar neue Fotos

Wenn man in Peterborough, einer mittelgroßen Industriestadt im Osten Mittelenglands, in nördlicher Richtung über den Broadway stadtauswärts geht, so erreicht man zehn Minuten außerhalb des Zentrums einen kleinen Friedhof von vielleicht 250 Metern Länge und gut 100 Metern Breite. Es ist ein typisch englischer Friedhof, was bedeutet, das er von einer gewissen angenehmen Unordnung beherrscht ist; anders als hier ist nicht alles in Reih und Glied geordnet und die wenigen Wege zu verlassen, stellt auch keinen Skandal, man kann ruhig ziellos mäandernd über den Gottesacker schlendern.

skull_hands

Aber bei meinem Besuch hätte sich sowieso niemand aufregen können, der Friedhof war leer. Und das zu den allermeisten Zeiten wohl schon recht lang: Ich sah kein Grab, das jünger war als 1930 und die Grabstätten und -steine sahen aus, als habe sie ebenfalls seit 1930 niemand mehr gepflegt. Bäume und große Büsche werden noch von der Verwaltung zurückgeschnitten, wie frische Aststümpfe beweisen, aber die Ruhestätten der Verstorbenen holt sich die Natur zurück. Vor allem der Efeu, der überall wächst und manches Kreuz schon abgebrochen hat.

Doch es kommt kein Gedanke an Verwahrlosung auf. Es ist als würden die Verblichenen nun langsam - ganz langsam, nach 80 Jahren sind die meisten Grabsteine immer noch weitgehend frei, wenn auch moosbewachsen, verwittert, schief - in den Schoß der Erde zurückkehren. Ich habe ein paar behutsame Fotos aufgenommen, die ich Ihnen in einer kleinen Galerie von nur elf Bildern gerne zur Ansicht bieten möchte.

Das ist natürlich kein Ersatz dafür, dort gewesen zu sein, aber Friedhöfe kennen Sie ja; wahrscheinlich ist dies Kennen für Sie mit Wehmut verbunden. Für mich auch, aber nicht nur, denn ich besuche in jeder neuen Stadt immer mindestens einen Friedhof. So auch hier in Peterborough, an einem dunklen, feuchten Tag, an dem der Himmel tief über der Stadt und der flachen Region der Fenlands liegt. An dem ein fremder deutscher Tourist, sich als einziger über die Grabplatten beugt und liest, dass geliebte Menschen hier unter der Erde liegen.

Wie tot sind diese Toten? Es heißt ja immer, dass die Verstorbenen in unseren Herzen weiterleben, solange wir uns ihrer erinnern. Erinnert sich noch jemand an diese hier? Die letzten Menschen, die diese hier noch gekannt haben können, sind jetzt 80 Jahre alt und älter und sie sterben jetzt selbst bald. Sind diese Toten hier dann richtig tot? Oder waren sie das schon vorher?

Vor einem, auch mit Efeu bewachsenen Grab, liegt ein fast frischer Strauß nur wenig verwelkter Blumen. Hier erinnert sich noch jemand. Einer der Elizabeth ( 1926) und Frederick ( 1936) kannte? Oder ein Nachkomme, dem von den beiden nur erzählt wurde ... wie warmherzig und liebevoll sie zu den Eltern, ihren Kindern, waren. So geliebt von ihren Kindern, dass deren Kinder und Kindeskinder sie heute noch ehren? Unvergessen jedenfalls.

Links rüber, nah an der Friedhofsmauer verschwinden die Gräber dann schon unter wahren Wogen von Efeu und die Bäume beugen ihre Äste tief, ohne dass die Verwaltung sie daran hindert ... vielleicht lässt man hier nun der Natur gänzlich ihren Lauf? Ich gehe leise rüber und versuche vorsichtig, den starr haftenden Bewuchs zu verschieben. Nichts zu machen, hier kann man nicht einmal mehr die Namen lesen. Die hier sind also wirklich tot ... Heimgekehrt?

Es gibt natürlich noch die Möglichkeit, sich über große Taten, Entdeckungen und Kunstwerke in die Unsterblichkeit zu erheben. Bach, Darwin, Goethe, Mozart, Galilei, Michelangelo - vielgeliebt, oder zumindest bekannt (Darwin) um ihrer Werke willen und unsterblich? Ich weiß nicht. Die Werke geliebt, ja sicher. Hören Sie mal die Matthäus-Passion, das ist im wahrsten Sinne des Wortes liebenswert. Aber Bach? Lieben Sie dadurch Bach und tragen Sie ihn im Herzen? Ich nicht. Ich kann nur lieben, wen ich kannte. Achten und verteidigen - das geht auch bei anderen; etwa Tolkien gegen dümmliche Literaturkritik oder den uralten Platon gegen moderne Philosophenschnösel, die sich für sooo viel schlauer halten. Aber lieben? Nein.

DSC_6589

Also sterben wir alle einmal wirklich, richtig und unwiderruflich? Ja, wohl schon. Vielleicht leben wir ja woanders weiter ... Keine Ahnung ... Aber ich mag Efeu, ich kann mir seine Umarmung ganz angenehm vorstellen ... Und irgendwann wird, was Teil von mir war, Efeu sein und umarmt ...

Gut!

Sonntag, 1. März 2009

Die Versucher - Cambridge II

Cambridge - Hort des Wissens und der Gelehrsamkeit - in Gedanken bin ich immer noch dort, wovon das Blog vor ein paar Tagen berichtete, als ich an dieser Stelle über die Physiker und ihre Rationalität sprach und darüber nachdachte, wie Spiritualität sich mit den Naturwissenschaften vereinbaren lässt. Aber es gab ja noch ,weit schlimmere‘ Welterklärer hier in Cambridge als die Physiker.

DSC_6327
The Eagle - Crick und Watsons Triumph

Wenn man vor dem King´s College links abbiegt und die Straße hinuntergeht, so fällt ein blutrotes Schild mit einem Adler und der Aufschrift „The Eagle, Cambridge“ drauf ins Auge - das ist der Pub, in dem James Watson und Francis Crick 1953 die Entdeckung der DNA bekanntgaben und somit dem Geheimnis des Lebens eine ganze Menge an Geheimnis nahmen. Und auch Darwin, der gefährlichste aller Biologen und Geheimnisentdecker der Lebenswissenschaften, hat hier in Cambridge gelehrt. Diese Lebenswissenschaftler haben uns ja noch viel schlimmere Kränkungen zugefügt als jene, die ,nur‘ die Erde aus dem Mittelpunkt des Kosmos verbannten.

Dass die unbelebte Natur nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten funktioniert, ist erstens beruhigend, denn es gibt doch eine gewisse Sicherheit, die der Glauben an wankelmütige Sturm- und Wettergötter so nicht bietet. Es ist zweitens zweckmäßig, denn auf diesen Gesetzmäßigkeiten kann man Häuser, Städte, Verkehrsmittel und vieles mehr aufbauen, die dann recht zuverlässig funktionieren werden und einem das Leben erleichtern. Drittens betrifft uns die unbelebte Natur nur indirekt, denn wir sind belebt und - so man daran glaubt, und das war immerhin jahrtausendelang weltweit Konsens - beseelt. Wir haben also eine nur lose Verbindung zur Natur, über die Forscherinnen und Forscher also ruhig herausfinden können, was immer sie mögen.

Diese relative bis absolute Unabhängigkeit von der Materie scheint nun aber gefährdet, wenn der Mensch qua wissenschaftlicher Erklärung wieder unmittelbar mit der ollen Materie in Zusammenhang gebracht wird. Schritt eins dahingehend war, dass Darwin die Evolution und die Abstammung des Menschen erklärte. Schritt zwei war dann, den Ursprung des Lebens, den schon Darwin in einer Ausgangsform allen Lebens vermutete, auch noch in Zusammenhang mit der Materie zu bringen, und das steckte hinter der Entdeckung der DNA.

Darwins Selektionstheorie mit der Vererbungslehre Gregor Mendels zu vereinen, das ging ja noch, ließ es den ganz Verzweifelten doch noch Platz, irgendeine distinkte Lebenskraft anzunehmen, auch wenn natürlich schon Darwin unter den heftigsten Anfeindungen zu leiden hatte. Aber dass die DNA aus Eiweißen besteht, die wiederum aus Aminosäuren bestehen, die wiederum aus stinkgewöhnlichen Molekülen und Atomen bestehen, die auch in Stein, Wasser und Schlamm stecken, und dass diese Zusammenhangskette in der umgekehrten Richtung zu sich replizierenden Gebilden führt die ... leben (!) ..., das war ein harter Schlag, denn damit war jegliche geheimnisvolle Lebenskraft erledigt und auch das Leben materiell erklärbar geworden.

DSC_6334
Ein Hörsaal in Cambridge - ein teuflischer Hort?

Da sitze ich jetzt also im „Eagle“, blicke durch den typisch englischen, dunkel-heimeligen Pub, und stelle mir die hagere Gestalt Francis Cricks vor wie er, das Bierglas erhoben, einem atemlosen akademischen Publikum von dem Triumph der wissenschaftlichen Erkenntnis berichtet. Sie werden das Foto vielleicht kennen, an das ich gerade denken muss.

War das also der Tod aller spirituellen und religiösen Hoffnung, wie beispielsweise Richard Dawkins (allerdings in Oxford) annimmt?

Das ist eine Glaubensfrage und jeglicher wissenschaftlicher Erklärung nicht zugänglich.

Dass das so ist, ist mir natürlich schon lange klar, aber hier im „Eagle“ erfahre ich die Sicht des Atheisten am eigenen Körper als Glaubenshaltung. Wieder berührt mich, wie schon bei Newtons Apfelbaum vor dem Trinity College, ein Schauder und ein Gefühl der Andacht ergreift mich - hier wurde Wissenschaftsgeschichte geschrieben! Obwohl das Ereignis im „Eagle“ wesentlich besser dokumentiert ist, als die Übergabe der Zehn Gebote an Mose auf dem Sinai, so kann das Gedenken daran doch ganz ähnlich wirken.

Was mein subjektives Gefühl mit Atheismus zu tun hat, fragen Sie? Wenig, denn es macht mir nur klar, dass auch Wissenschaft Ehrfurcht, sogar Andacht hervorrufen kann. Für mich ist das aber ein Hinweis auf eine gewisse Verwandtschaft zwischen zwei Wissensformen, die einander ansonsten diametral gegenüberstehen. Und in der Tat geht die Verwandtschaft noch weiter, wenn man diesen Gedanken einmal zulässt.

Genau wie Religion und Mythos kann Wissenschaft inspirierend und ehrfurchtgebietend wirken und beweist damit, dass sie Menschen am Kern ihres Wesens anzusprechen vermag. Vor den unüberwindbaren Mauern der Erkenntnis stehend, die der Anfang aller Zeiten, der Raum hinter dem Universum und die Räume kleiner als die erfassbare Materie darstellen, kann auch Wissenschaft nur noch spekulieren.

Dass die Erklärbarkeit der Aggregation von Materie zu Gestirnen und Planeten und die Organisation von Molekülen in Replikatoren und Organismen ein Beweis dafür sein soll, dass dies alles ist, was es gibt und dass kein Gott das alles veranlasst habe, ist nicht weniger Spekulation als das Gegenteil.

Mit gleichem Recht und prinzipiell nicht geringerer Überzeugungskraft kann der Gläubige darauf hinweisen, dass gerade die Aggregation von Materie zu Sonnen und mindestens einem Planeten, der Leben tragen kann, sowie die erstaunliche Fähigkeit unbelebter Materie, sich zur Lebensfähigkeit hin zusammenzufinden ein sicherer Hinweis darauf ist, dass es eine Wirkursache geben muss, die dieses an sich sehr unwahrscheinliche Geschehen zustande kommen lässt.

DSC_6541
Niemand kann beweisen, dass es ihn nicht gibt

Das erstaunliche Wunder der Komplexität des Seins lässt sich auf beide Weisen und wahrscheinlich mittels einer unlimitierten Anzahl weiterer Ansätze erklären. Doch sind das in allen Fällen eigentlich keine Erklärungen, sondern Auslegungen. Wessen man anhängt ist die Sache jedes Einzelnen. Verboten ist nur, jemanden anderen zur Übernahme der eigenen Auffassung zu zwingen.

Was ich in der Atmosphäre Cambridges allerdings außerdem irgendwie bestätigt gespürt habe, ist, dass die Wissenschaftler in den allerwenigsten Fällen zu missionieren versuchen und einen stattdessen üblicherweise nach eigener Façon glücklich werden lassen. Sich bitte zurückzunehmen, das muss man beiden Seiten sagen; allerdings stehen auf der einen Seite des Zauns nur ein paar Gestalten, aber auf der anderen Seite stehen ganze Horden.

Bitte? Ach, was richtig ist, wollten Sie noch wissen? Atheismus oder Theismus? Das fragen Sie doch bitte keinen Agnostiker ...