Mittwoch, 8. Dezember 2010

Die WikiLeaks-Herausforderung

WikiLeaks hat zigtausende Dokumente veröffentlicht, die ein hochinteressantes Licht auf die Art und Weise werfen, wie internationale Beziehungen wirklich funktionieren. Mehr ist seitens WikiLeaks nicht passiert; kein Geheimnisverrat, keine Spionage, kein echter Schaden, obwohl ihnen genau das vorgeworfen wird. Und man eine Hexenjagd auf Julian Assange anstellt, die jetzt auf höchst gefährliche Weise ausgedehnt wird. Denn mit Assange ist es nicht getan. Jetzt zeigt die Politik, wenigstens die amerikanische, aber die europäischen Regierungen dürften nachziehen, worauf sie wirklich hinauswill - auf die Abschaffung der Pressefreiheit. Denn nichts anderes steht hinter dem Versuch Senator Liebermans, nun sogar die New York Times zu kriminalisieren.

Assange ist jetzt dran und wird wohl nicht mehr davor zu bewahren sein, auf immer in irgendwelchen Gefängnissen zu verschwinden. (Wir regten uns vor ein paar Jahren darüber auf, wie Putin seinen Kritiker Chodorkowski in bester Tyrannenmanier ins Gefängnis werfen ließ; jetzt tun die USA das gleiche und ehemals politisch-freiheitlich vorbildliche europäische Nationen wie Großbritannien und Schweden helfen dabei, pfui!) Dabei hat Assange nichts anderes gemacht als das, was die New York Times, Der Spiegel, The Guardian und El Pais in der selben Angelegenheit auch machen: Er hat Material von öffentlichem Interesse veröffentlicht, das ihm aus authentischer Quelle zugespielt wurde.

Was für ein Schaden wurde denn angerichtet? Sollte wirklich jemand geglaubt haben, dass die Diplomaten und Politiker in ihren eigenen Zirkeln und untereinander nicht so miteinander über einander reden, wie die veröffentlichten Depeschen es jetzt zeigen, so wird ihm diese Naivität jetzt hoffentlich ausgetrieben worden sein.

Und alles andere ist Propaganda. Natürlich wusste Westerwave vorher, dass die internationalen Mitdiplomaten ihn für unfähig halten. Natürlich wusste Ahmadinedschad vorher, das König Abdullah ihn gerne tot sähe. Einzig Berlusconi dürfte zu notgeil sein, um die Realität wahrzunehmen. Und unsere Kanzlerin dürfte sich durch den Beinamen "Teflon" noch geschmeichelt fühlen.

Wenn sich der eine oder andere jetzt oder in Zukunft publikumswirksam über den einen oder anderen erregen wird, so dient dies nur dazu, eben diesem Publikum in der Hoffnung eine Show zu liefern, dass es sich von den eigentlich allseits bekannten Vorwürfen nur aus dem Grund beeindrucken lässt, weil sie mit dem Hinweis auf angeblich geheime Meinungen und Erkenntnisse untermauert werden. Propaganda eben! Propaganda, die sich auf WikiLeaks und Assanges Arbeiten stützt, die sich in nichts von anderen journalistischen Arbeiten unterscheiden. (Hier ein aktueller Artikel von Assange selbst, der genau das eindringlich schildert.)

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WikiLeaks´Zukunft?

Auf die gleiche Art, wie nun die diplomatischen Berichte der USA, flogen nämlich F-J. Straußens Lockheed-Verstrickungen auf, wurde Watergate publik gemacht, gelangten zahllose andere politische Skandale ans Licht der Öffentlichkeit. Genau das versuchte Chodorkowski in Russland und wurde von einer abhängigen Justiz erledigt. Letzteres, so stellt es sich heute dar, ist nun wohl auch bei uns möglich, wenn sich der Vorsitzende des Heimatschutzausschusses der USA nun traut, gegen das publizistische Flaggschiff des Landes mobil zu machen.

Was tun? Sicher nicht Mastercard oder Paypal mit DoS-Attacken ärgern, denn das bringt genauso viel wie Eric Cantonas gestriger Versuch, mit Hilfe von ein paar Dutzend Fans, die ihr Geld abhoben, die französischen Banken in den Ruin zu treiben.

Was dann? Weiterschreiben, weiterpublizieren, weiterhin Informationen bereit halten, wie es die wunderbaren Unterstützer von Wikileaks machen, die das Archiv mittlerweile so im Netz verteilt haben, dass es auch die USA nicht mehr rausbekommen.

Die IT ist Gefahr, viel mehr aber noch Chance für die Freiheit. Jedes Blog, jeder kleine Twitter-Zweizeiler, ja jeder Klick auf Facebooks "Gefällt mir"-Button, der sich den Themen Meinungs- und Pressefreiheit widmet, hilft, für die Themen zu sensibilisieren, hilft, das Nachdenken zu fördern, hilft, andere Menschen zu aktivieren. Eine andere (ethisch saubere) Möglichkeit haben wir nicht. Das Maul nicht aufzumachen, bedeutet, dass wir irgendwann alle wie unter chinesischer Zensur leben werden. Auch in den USA, auch hierzulande. Das zu verhindern, ist die Wikileaks-Herausforderung.



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